Glatzensteuer. Ein Plädoyer



Wir sind ein Steuerparadies, sagt mein Kollege und hebt den Kopf. Dabei zeigt er mir nur sein schütteres Haar, der Rest ist hinter der Zeitung verschwunden, die er jeden Tag um diese Zeit vor´s Gesicht hält. Kleinformat. Ich weiß nicht mehr, wars die Krone, Österreich oder Heute, ist auch egal. Kleinformat, das reicht, um den Kopf zu verlieren. Wir sind ein Steuerparadies.


Ich schaue ihn an, das heißt nicht ihn, sondern das Haarbüschel, das zwischen Finanzminister und Sparwerbung hervorlugt, ein komischer Anblick. Ich hole mir noch einen Kaffee, mit Milch und viel Zucker, versteht sich, vier Stück, man gönnt sich ja sonst nichts.


Wir sind ein Steuerparadies, sagt mein Kollege noch einmal, senkt das Kleinformat und greift sich aufs Hirn. Ein Steuerparadies, verstehst du? Nein, sage ich gedankenverloren und starre erst auf das graumelierte Haarbüschel, das mir heute grauer erscheint als gestern, und dann auf die Haarpracht unseres Finanzministers, dessen Gesicht unter der Tischplatte verschwunden ist. Irgendetwas irritiert mich.


Österreich ist ein Steuerparadies, nirgends gibt es mehr Steuern als bei uns. Wir leben im Überfluss, sagt mein Kollege, während mein Kaffeehäferl überschwappt. Ich trinke zu viel.


Jetzt will er doch glatt eine Fettsteuer einführen, der Finanzminister, um den Überfluss zu mehren, sagt mein Kollege, eine Fettsteuer, verstehst du?


Ich brauche noch einen Kaffee, mehr Milch und Zucker, ich weiß nicht, wie ich sonst den Kollegen aushalten soll. Im Kühlschrank ist nur mehr Magermilch. Das wird ein gräßlicher Tag. Ich stelle das Radio an.


Der Body-Mass-Index soll zur Grundlage der Berechnung einer künftigen Fettsteuer werden, die dazu beitragen wird, das Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung zu stärken und Übergewichtige vermehrt in die Finanzierung unseres Gesundheitssystems einzubinden.“


Ich stelle das Radio ab. Das Haarbüschel meines Kollegen steckt wieder zwischen Sparwerbung und Finanzminister fest.


Fettsteuer, sagt er, und setzt dabei ein Lächeln auf, das mich irgendwie an den Finanzminister erinnert. Wie sich die Menschen gleichen!, sagt er, alle wollen im Paradies leben, und jetzt, wo wir endlich angekommen sind, geht das Jammern wieder los.


Was soll man da sagen?


Magst du auch einen Kaffee?, frage ich meinen Kollegen und wende mich zum Kaffeautomaten, um nicht auf das Haarbüschel schauen zu müssen, doch er hört mich nicht.


Ich bin gespannt, was nach der Fettsteuer kommt, tönt das Haarbüschel unvermittelt.


Das kann ich dir sagen, entgegne ich, ehe ich zu Magermilch und Zucker greife. Die Glatzensteuer.


Die was?


Die Glatzensteuer. Wenn wir schon alles besteuern, um unser Steuerparadies zu bewahren, warum dann nicht auch das Nichts? Und das Nichts fängt bei der Glatze an.


Das Haarbüschel starrt mich an. Dem Finanzminister gefriert das Lächeln. Die Sparwerbung wirbt für Sauermilch. Mein Moment ist gekommen.


Die Glatzensteuer setzt dem Steuerparadies die Krone auf, sage ich. Das hat die Welt noch nie gesehen. Schau – und hier komme ich in Fahrt, jetzt sitze ich am Steuer – schau:


Die Fettsteuer ist erst der Anfang. Erst kommt die Fettsteuer, dann die Glatzensteuer. Die Glatzensteuer bringt die ultimative Steuergerechtigkeit im Steuerparadies.


Nehmen wir an, deine Fettsteuer tritt morgen in Kraft. Wer zahlt denn dann Fettsteuer? Nach dem Body-Mass-Index sind fast alle zu dick, auch du und deine Frau ... Nein, warte, unterbrich mich nicht. Nach dem Body-Mass-Index sind eigentlich nur Magersüchtige normalgewichtig, also über den Daumen gerechnet zahlen nur 99,96 Prozent der Bevölkerung Fettsteuer. Nennst du das gerecht?


Nein, erst die Glatzensteuer bringt die ultimative Steuergerechtigkeit. Schau dich an und schau mich an und schau, nur als Beispiel, den Bundeskanzler an.


Der Kanzler ist ein gutes Beispiel. Der ist der Idealfall für den Glatzensteuerspitzensatz. Hundert Prozent glatzert.


Schau, der durchschnittliche Österreicher geht alle sechs Wochen zum Friseur, also acht bis neun Mal im Jahr. Die Rechnung ist ganz einfach. Sagen wir, du gehst acht Mal im Jahr zum Friseur und zahlst jedes Mal 25 Euro, macht 200 Euro. Zwanzig Prozent gehen an den Staat, also 40 Euro. Der Kanzler ist jetzt 65. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 76,17, also müsst er noch 11 Jahre zum Friseur gehen. Geht er aber nicht, weil er glatzert ist. Das heißt er erspart sich 2200 Euro, davon 440 Euro Steuer. Wenn du mit deinem Haarbüschel zum Friseur gehst, zahlst du die 3400 Euro samt den 680 Euro Steuer. Ich auch, obwohl ich dreimal so viele Haare hab wie du. Ist das gerecht?


Wenn du jetzt einmal mehr im Jahr zum Friseur gehst, also neun Mal, weißt du, wie viel das den Chef kostet, damit dem Friseur am Ende 20 Euro überbleiben? 155 Euro! Glaubst du nicht? Schau: Wenn dir der Chef brutto 118 Euro auszahlt, zahlt er 36,80 Euro Arbeitgeber-beiträge und 21,30 Euro Arbeitnehmerbeiträge. Bleiben 96,70 Euro. Die werden mit 50% besteuert. Nach Steuern und Sozialversicherung ergibt sich ein Nettobetrag von 48,35 Euro. Wenn du das dem Friseur zahlen würdest, dann geht’s so weiter. Der Friseur zahlt gleich einmal acht Euro Umsatzsteuer. Wenn er jetzt noch 60.000 Euro im Jahr verdient, muss er zusätzlich die Hälfte von 40 Euro als Einkommensteuer an den Finanzminister abführen. Von den 155 Euro, die du vom Chef gekriegt hast, bleiben dem Friseur noch 20 Euro. 135 Euro versickern. Also, damit sich das ausgeht, musst du dem Friseur 48,35 Euro und nicht 25 zahlen.


Jetzt weißt du, was du zahlst, was du dem Friseur zahlen müsstest und was sich der Bundeskanzler erspart.


Jetzt kannst du das ganze umgekehrt rechnen. Nachdem du nicht glatzert bist, du hast ja ein mickriges Haarbüschel und 155 Euro zahlen müsstest, damit sich das für den Friseur ausgeht und du dem Chef nicht auf der Tasche liegst, macht das 155x8x17, also 21.080 Euro. Die spart sich der Kanzler, weil für ihn muss der Friseur ja nicht leben. Also könnte man vom Kanzler 1240 Euro Glatzensteuer im Jahr einheben.


Du mit deinem Haarbüschel würdest, so über den Daumen gerechnet, 980 Euro zahlen, ich noch einmal die Hälfte, also 490 Euro. Rechnet man uns drei zusammen, dann sind wir bei 2710 Euro. Macht auf 9,2 Millionen Österreicher, die Frauen mit eingerechnet, obwohl die beim Friseur noch viel mehr hinlegen, wieviel?


Siehst du, die Glatzensteuer ist ein Schritt zur ultimativen Steuergerechtigkeit. Warum´s die so nicht gibt und nie geben wird, ist ganz einfach. Der Finanzminister ist fünf Jahre jünger als der Stocker und zahlt beim Friseur wahrscheinlich 120 Euro monatlich. Er muss ja auch was darstellen. Die Stirn vom Finanzminister ist schon ziemlich hoch, also ist doch ein Anteil an Glatzensteuer fällig, der sich dann so berechnet. Sagen wir, er ist im Vergleich zu hundert Prozent vom Kanzler nur 7 Prozent glatzert, zahlt aber 120 Euro im Monat. Damit dem Friseur 100 Euro bleiben, müsste er 800 zahlen, macht im Jahr 9.600 Euro. Davon rechnen wir 7 Prozent, blieben wieviel? 672 Euro im Jahr. Jetzt kannst du das ganze noch mit der Frauenministerin durchrechnen. Die Lebenserwartung der Frauen liegt bei 82,11 Jahren, der Finanzminister ist 60, also wie gehts weiter? Ich sehe, das wird für dich schon kompliziert. Ich bin aber noch nicht fertig.


Da sich beim Kanzler am Haarwuchs nichts mehr ändern wird und die Frauenministerin geschlechtsbedingt wenig Haare verlieren wird, sind wir schon wieder bei der Gerechtigkeit. Wir Männer zahlen mehr, weil Frauen mehr Haare haben und deshalb öfter zum Friseur gehen.


Summa summarum – ich nippe an meinem Kaffeehäferl, igitt ist der grauslich, wenn er kalt ist, trotz Zucker und Magermilch – ist die Glatzensteuer nur der entscheidende Schritt zur Gerechtigkeit.


Erst wenn, was schaust du denn so, hab ich dir die Zeitungslektüre verdorben, erst wenn man die äußerste Konsequenz zieht und eine Nackertensteuer einführt, pauschaliert, mit Indexanpassung, geistige Nackertheit extra kalkuliert – dann wird alles gut.


Jetzt fällt meinem Kollegen die Zeitung aus der Hand, Krone, Heute oder Österreich, egal. Der Kanzler wirkt geknickt, die Sauermilch gerinnt. Nur das Haarbüschel des Kollegen steht noch aufrecht. Mir scheint, es graut ihm schon.




© Michael Leputsch, 2025




© Michael Leputsch, 2025