widergänge




I.


kornblumenblauer zungenschlag

im meinungstreuen mund ruht

volkes stimmgabel

auf runenluft

schwarzes blut

während kristalliner nachtreiche

tropft

aus mohrenköpfen

hassnahrung vergessenstrunk

an der bewusstlosigkeitszonengrenze

drüben schorf krätze

fortschritt auch ohne

führers gescheitelten befehl






II.


sag

in welcher farbe malst du

das chamäleon

heute 

welche wäre widerstand 

wert


oder


das billigste lösungsmittel

zerfrisst den pinsel

deine samtfinger

spritzer

am letzten hemd





III.

stimmviehzählung am eingang
einer färbt um
haar kleidung hirnattrappen
stopft faulendes manna
in gedächtnislücken

die zugangsprüfung
zum beichtverweigerer
geschenkt
nichts gewusst
sehr gut
setzen





IV.

der wirt
menschenfleisch im sortiment
abgeschabte markknochen
weiß
um die begehrlichkeiten
hoher gäste
ein schädel
halsstarrig wie nie
blickt nieder
eine augenweide
dann schließt er
für heute
den gasthof 'zum antlitz der welt'





V.

in der kanzlei frank & frei
zur dokumentation des widerstandes
schrumpft die sekretärin
unter dem klappern der tastatur
ihre nachbarn
zu läusen und bazillen
malt in der pause blumen
während die braune brühe
jede renitenz eindampft
endlich in krisenresistenter position
als sicherheitsbürgerin
ihr name wirbt für transparenz






VI.

in der rechten ruht
der berechtigungsschein
zum hasenjäger
die leibgarde ist handverlesen
mit absoluter mehrheit gewählt
tadellos sein abgang von der bühne
einer von uns erteilt den befehl
die saison ist eröffnet
wir durchforsten
das städtische dickicht
sendungsrufe jubel freudentränen
hoch lebe die hasenfreie demokratie






VII.

treuherzig streicheln die finger
seinen gewehrhals
das rohr feucht
glänzt unterm mondenschein
er braver schussbefohlener
säubert im flussbett den lauf
ein aug zielt gesetzeskonform
nach zehn patronen
ins leere





VIII.

sie streichelte katzenfotos
am smartphone
ihre einzigen haustiere
das fell weich
haarige gewissheit
sammelte büschel
als künftige polsterfüllung
schlafe süß
träume schön
erwache in laken voll pisse





IX.

hektoliter an bücherbrand
verfeuern den gedankenrausch
für odins viertes regnum
binäre codes im datenwust
raster präreflexiver valuation

und die poeten
geschasste
ritzen an der schweißnaht
einer plastifizierten konformität
ein exogenes volk
mit chromosomenverschub





X.

gratiszeitungen überwuchern
die sitze im zug
der nachbar schläft
unter papierenem busen
mit traumwandlerischer sicherheit
ach die antiquierte bestimmung
spricht der staatssekretär ihn frei
pressebeförderung
dient allein
der nackten wahrheit





XI.

kann man
wie ein fliegenpilz oder hahnenfuß
sein gift in lexika verbirgt
stillschweigend lügen
abertausend seiten
entsteigt der ewige jude
mit staubigem schuh
ein artgenosse im spiegel
schrubbt seine spur fort
die zeit
verbriefter übereinkunft

mit dem leser






XII.


wieviel das ist
ein atemzug
eine handvoll schweigen
ein hörendes herz
in dürftiger zeit


wieviel das sein wird
ein verständiger blick
ein tröstendes wort
in kargem jahr


wieviel das wäre
ein ort der zuflucht
am tag der revolte





XIII.

mattscheibe
hieß die kastenförmige welt
in der die aufständischen planiert wurden
wie asphalt
für eine flatscreen reality show
himmlischen friedens
made in china





XIV.

slips in lila
bh‘s
karierte männerphantasie
am haken

unter rabattierter spitzenwäsche
warten auf brustwarzenglitzer
einen tag lang
drei treuepunkte
nur für clubmitglieder
gemäß prospekt

am ende der saison
erklimmt die freizügige frau von heute
den höhepunkt des jahres
ihre kundenkarte gewährt
(fortsetzung folgt)dem unverschämten bilanzpüfer
einblick in ihre kaufgelüste






XV.

versicherungen boomen
gegen die unbill
auferlegter freiheit
eine prämie aus unterwerfung und
seelenverrat
hält die matten in schach
mit ihrem anteilsschein am höllenreich

cerberus
pfaucht und sabbert
seinen gästen zur ehre

widerständige jagt er
im kreis
verbündeter ohmacht
bis er sich selbt
in stücke reißt

der aufrechte lauf
bleibt eine erfindung
verfemter freunde
gewiss





XVI.

unidentifizierbare lecken
mit ihren gletscherzungen
schnee von zerschlissenem schuh
pässe
zuversicht in fetzen
zwiefältige gebilde in zittriger hand
amtlich beglaubigtes endspiel am grat
schere stein papier
die ausreise
trug und lug
wenigstens ein zeitungsflieger gäbe
womit man in tagen am strand
gute hoffnung
erheischt haben könnte
wenn es denn das wort noch gäbe
unter sonnenschnippseln
aus eis






XVII.

auf der straße dauert
der notstand fort
harndrang
fern der toiletten
sie eilen
dampf in den gedärmen
diese unabführbare wut
auf eliteschüler mit ihren goldenen schüsseln
sie schreien
nach abhilfe
einem abortbauer und wc-papier
nach einem stadtführer
der über schmeißfliegen
diktiert
der jegliche sprachlosigkeit
ob der szenerie
mit säureparolen
zersetzt






XVIII.



die inszenierung war präzise

im ersten akt sollte das publikum sterben
im zweiten akt würden die schauspieler liquidiert

dann folgte eine pause

im dritten akt erschösse der regisseur einen hund
im vierten akt suizidierte er sich

das werk sah ein offenes ende vor

andere theater übernahmen das stück
wegen durchschlagenden erfolges





XIX.

gemeinsam hatten sie
die alkoholfahne gehisst
wodka und grog
auf die ewige feindschaft
gas und tränen
auf mauern und haubitzen
und volkes willen

entkorken wir
noch eine flasche brandy
bis ich feuer speie
oder du
sie werden es uns danken
mit glasigem blick
in die zukunft
der glut ihrer kinder





XX.

wagemut
tollkühne internetsurfer
auf dem fluss des vergessens
ewiges wellenspiel
entlüftete rettungsringe
mnemosyne winkt
atemlos
mit kornblumenblauen lippen

anstoß mit vergessenstrunk
partytiger
monologe an der reling

hassnahrung in häppchen
kalorienarm
wippen am kiel
hadespanorama
gischt für alle
vergessenswerten

freiheit
todesroulette
für fortgeschrittene
zeitungskritiker
alltagshelden
oder
tyrannis à la carte
repetierte groupiersphrasen
für meinungsfreie
nichts geht mehr
gesetzt auf
zukunft mit oberlippenbart
und seitenscheitel